[vc_row][vc_column][vc_column_text letter_spacing=““]Vorwort zur Rezension: Vielleicht plant Ihr gerade eine Reise nach Papa-Neuguinea, das Land, in dem der biografische Roman von Marc Buhl über den bizarren Auswanderer August Engelhardt in wesentlichen Teilen spielt. Einen tollen Bericht über die Insel findet Ihr bei den Urlaubsgurus. Weitere Links mit erwähnenswertem Hintergrundwissen habe ich in die Rezension eingebaut. Viel Spaß beim Lesen.
Mit „Das Paradies des August Engelhardt“ hat Marc Buhl eines der faszinierendsten Bücher vorgelegt, das mir als Leser bisher begegnet ist. Aufgegriffen hat er die Geschichte des Sektengründers August Engelhard (1875 geboren in Nürnberg, gestorben 1919 auf Kakabon, dem heutigen Papa-Neuguinea).
Der Auswanderer und Sektengründer wird im Klappentext flapsig als wilhelminischer Frühhippie bezeichnet. Umso treffender jedoch ist die Aussage, dass Marc Buhl seinen Leser/innen in dem Roman treffsicher vor Augen führt, dass Zivilisationsmüdigkeit keine Erfindung des neuen Jahrtausends ist. Und auch nicht eine Entdeckung der 60er-Generation des letzten Jahrhunderts. Vielmehr führt die Reise bis zur vorletzten Jahrhundertwende zurück.
Vergleicht man die biografischen Informationen des realen August Engelhardt mit denen des literarischen August Engelhardt, bleibt festzustellen, dass auch jene Aussage im Klappentext zutrifft, das Marc Buhl die Geschichte mit aller notwendigen erzählerischen Freiheit ausbreitet. Allerdings in jeder Sekunde, auf jeder Seite des Romans in Blicknähe zu dem etwas skurril wirkenden August Engelhardt. Ein bewundernswertes literarisches Kunstwerk. Vermutlich wurde dramaturgisch die Gewichtung zwischen den handelnden Personen ein wenig verschoben, im Wesentlichen jedoch hat Marc Buhl versucht, sich der inneren Welt des August Engelhardt aus der eigenen Perspektive und Zeit zu nähern. So steht im Klappentext, dieser sei ein aus der Zeit gefallener Mensch, was sicherlich zutrifft. Im doppelten Sinn.
Biografisch belegt ist, dass August Engelhardt 1899 der Jungborn-Bewegung aus dem Harz beigetreten ist. Gegründet von den Brüdern Adolf und Rudolf Just stand diese Bewegung atypisch für die damalige Zeit für Vegetarismus und Nudismus und wurde – natürlich – verboten. Anlass für August Engelhardt, sich den Zwängen des Menschen drangsalierenden Europas zu entziehen. An diesem Punkt beginnt der Roman von Marc Buhl.
Der einstige Apothekenhelfer verlässt Deutschland und trifft im Jahr 1902 auf Kakabon bzw. Deutsch-Papaneuguinea im pazifischen Ozean ein. Womöglich wollte er die Wurzeln zu seiner Heimat nicht ganz kappen. Es folgte die Gründung einer Glaubensgemeinschaft mit dem Namen Sonnenorden. Mit dem Begriff Kokovorismus drückte er seine Weltanschauung aus, die sich auf zwei Hauptnenner reduzieren lässt: die Sonne als Lebenselixier und die Kokosnuss als das der Sonne naheste Lebensmittel. Er verzichtet komplett auf Kleidung und sonstige Errungenschaften der Zivilisation. Das mag alles noch halbwegs akzeptabel klingen. August Engelhardt jedoch versinkt immer tiefer in bizarr religiösen Ansichten. Der Sonnenorden mit den wenigen Mitgliedern, die er aus Europa anlocken kann, sie versinkt in atemberaubendem Tempo in tiefster Dunkelheit. Nach den Wirren des Ersten Weltkriegs, der auch Kakabon erreichte, stirbt August Engelhardt im Mai 1919. Diese eher unerquicklich verlaufende Ära ist Hauptbestandteil des Buchs von Marc Buhl. Er führt seine Leser durch alle Höhen und Tiefen, die das Leben des Auswanderers ausgemacht haben.
Beeindruckend an Marc Buhls Roman ist die Intensität der Sprache, der unbedingte Wille, sich in der Gedankenwelt des wilhelminischen Flowerpower-Freaks zurechtzufinden. Zu rekapitulieren, warum August Engelhardt früher oder später scheitern musste. Weniger an seinen Idealen, sondern viel mehr an sich selbst. Dass der Autor Marc Buhl dabei inhaltlich über die Stränge schlägt und August Engelhardt in einem Haus aus Büchern wohnen lässt, das zudem in Flammen aufgeht, sei im verziehen. Im Klappentext wurde ja die erzählerische Freiheit erwähnt, die er sich genommen hat. Bleibt am Ende des Buches die Frage offen, inwieweit man sich mit dem Protagonist identifiziert oder ob man sich besser von ihm distanziert? Erschienen ist das Buch 2011 im Eichborn-Verlag.
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