Waldbaden ist so ein Begriff, vor dem ich normalerweise zurückschrecke. Klingt zunächst ein wenig esoterisch. Esoterik wird häufig mit okkulten, spirituellen, jenseitigen und vergleichbaren Ansätzen in Verbindung gebracht. Kann man aber auch ein wenig entspannter betrachten. Etwas mehr in die Thematik Waldbaden eingetaucht, stoße ich schnell auf das Thema Luftbaden, wobei mir der Begriff schon lange geläufig ist.
Traditionell: das Luftbad in Stuttgart-Degerloch
Es gibt ein Luftbad in Stuttgart-Degerloch, das durchaus über die Stadtgrenzen hinweg bekannt ist. Mit diesem Wissen fällt es mir deutlich leichter, den Begriff Waldbaden als legitim und ansprechend fernbab jeglicher Esoterik wahrzunehmen. Dann mal los. Ach ja, wenn dich das ganze Drumherum nicht interessiert, dann spring gleich zu Punkt 4 im Inhaltsverzeichnis: (Waldbaden: wie geht das?).
Kurzes Statement zum Thema:
Ich bin kein Arzt, sondern als Reiseblogger (Schwerpunkt #Heimatliebe) möglichst oft in der Natur unterwegs – und berichte über das Waldbaden aus eigener Erfahrung. Sich auf einer abgelegenen Lichtung hinzulegen (nimm evtl. ein Handtuch oder Badetuch mit) und sich der Umgebung zu öffnen, ist die Essenz, welche die Basis dieses Beitrags über das Waldbaden bildet. Oder doch nur ein Klischee? Geht auch anders, wie du sehen wirst, da ein Blick hinter die Kulissen oft hilfreich ist. Hinsichtlich tatsächlich vorhandener Effekte aus medizinischer Sicht habe ich die Infos so sorgfältig wie möglich zusammengetragen. Wenn du meinst, eine Falschinformation gefunden zu haben, mach mich bitte im Kommentarbereich darauf aufmerksam. Merci vorab und nun viel Spaß beim Weiterlesen.
Japan kann nicht nur Auto und Industrie
Vielleicht erst einmal das Sprachliche, damit du weißt, was folgen wird. Es wahr wohl im Jahr 1982, als das japanische Amt für Landwirtschaft, Försterei und Fischerei den Begriff Shinrin Yoku aus der Taufe gehoben hat. Eine kreative Wortschöpfung, die sich folgendermaßen zusammensetzt:
- Shin: Wald
- Rin: Wäldchen oder eben kleiner Wald
- Yoku: Bad bzw. baden
Für die einzelnen Begriffe gibt es noch weitere Interpretationen, da Rin zum Beispiel auch ein Vorname ist. Zudem handelt es sich um die Vorgängerwährung des aktuellen Yen. Optisch sieht das dann so aus und hat einen gewissen Charme:
Aus unserer Sicht wie Symbole wirkend, sind sie, wenn man die Übersetzungen dahinter kennt, einerseits hübsch und andererseits nachvollziehbar, oder nicht? Jedenfalls hat mich das dazu veranlasst, ein wenig über die japanische Schriften zu recherchieren. Wenn du ebenfalls neugierig geworden bist, gibt es eine gute Quelle als erste Anlaufstelle von planet wissen. Hier wird grob skizziert dargestellt, wo die Unterschiede zwischen Kanji und Hiragana liegen. Apropos, auch auf Englisch gibt es den Begriff unter der Bezeichnung Forest Bathing.
Was ist Waldbaden im Vergleich im Vergleich zum Luftbaden?
Waldbaden – eben auch als Shinrin Yoko bezeichnet – hat der Leiter der japanischen Forstwirtschaft Tomohide Akiyama 1982 als neuen Begriff eingeführt. Wobei er einer Tradition gefolgt ist, die bis in das 17. Jahrhundert zurückführt. Dazu gleich mehr. Parallel zum Waldbaden ist hierzulande der Begriff Luftbaden mit etwas mehr Tradition behaftet, wobei eine durchaus unterschiedliche Denkweise zum Tragen kommt. Das hat mit Sebastian Kneipp zu tun. Ursprünglich Priester, hat er sich mehr als Naturheilkundler etabliert und die Kaltwassertherapie ins Leben gerufen. Das Luft- bzw. Sonnenbad ist Bestandteil umfangreicher Regenerationsmaßnahmen.
Highlight in Japan: der Akasawa Natural Forest
Der Akasawa Natural Forest gilt als Wiege des Waldbadens. Erstaunlich ist, dass das heutige Naturschutzgebiet bereits im 17. Jahrhundert protektioniert worden ist. Sehr schöne Impressionen und einen ausführlichen Erfahrungsbericht findest du bei Freunde von Freunden (auf Englisch aber super bebildert). Eh eine tolle Seite für ziemlich beeindruckende Reiseinspirationen. Empfehlenswert.
In diesem mystischen Wald stehen unter anderem riesige Zypressen mit einem Alter von 300 Jahren und darüber hinaus. Alleine die genannte Zeitspanne bewirkt schon etwas in mir, was sich Vorstellungskraft nennt. Sie erreichen locker eine Höhe von bis zu 30 Meter, wenn man ihnen die Zeit lässt.
Selbstverständlich ist der Akasawa Erholungswald zum Waldbaden touristisch ausgebaut – meinen Recherchen nach jedoch recht moderat. Es sind mehrere Wanderwege vorhanden und es fährt eine historische Bahn gemächlich durch die Region. Die Rede ist von ca. 100.000 Besuchern pro Jahr. Allerdings musst du dir den Wald im selben Zeitraum mit ca. 5 Millionen Japaner*Innen teilen. Auf jeden Fall gibt es verschiedene Führungen mit kompetenten Begleitern in Sachen Waldbaden.
Und wie genau ist man in Japan auf die Idee mit dem Waldbaden gekommen?
Wer die japanische Kultur und Lebensart ein wenig einschätzen kann, weiß, dass sich unglaublich viel in Megastädten wie Tokyo, Jokohama oder Osaka abspielt. Es soll Hotels geben, deren Zimmer lediglich eine sargähnliche Größe haben. Morgens raus, zur Arbeit und abends wieder reinschlüpfen in den Arbeitskokon. Wobei in Sachen Design zumindest ein wenig Abhilfe geschaffen worden ist, wie du im Asienspiegel nachlesen kannst. Es ist naheliegend, dass der Mensch, seine Natur und die echte Natur zu kurz kommen. Von Waldbaden oder sonstigen Aktivitäten keine Spur.
Um dem urbanen Anti-Lifestyle etwas entgegenzusetzen, hat das zuständige Landschaftsministerium ein mehrere Millionen Yen schweres Forschungsprogramm ins Leben gerufen – in diesem Zusammenhang fällt auch häufiger der Begriff Baummedizin. Und ganz offensichtlich haben die zuständigen Wissenschaftler herausgefunden, dass das Waldbaden messbare Effekte auf das menschliche Immunsystem hat. Die besondere Atmosphäre des Waldes hat Auswirkungen auf körperliche und geistige Bereiche in ihrem fragilen Zusammenspiel.
Belastbare wissenschaftliche Fakten in Bezug auf das Waldbaden stehen auf nature.com frei zur Verfügung. Die Studie ist ziemlich umfangreich, auf Englisch verfasst und mit zahlreichen Schaubildern bestückt. Das Abstrakt lautet folgendermaßen:
pending at least 120 minutes a week in nature is associated with good health and wellbeing
Kneipp-Tour: macht dich frei beim Luftbaden
Im Vergleich funktioniert das Luftbaden völlig anders als das Waldbaden. Jedenfalls auf den ersten Blick. Weshalb? Die Kneipp-Kur mit all ihren einzelnen Vorgehensweisen dient der sogenannten „Abhärtung“. Kurz gesagt soll der Körper lernen, auf äußere Reize richtig zu reagieren, ob das nun eine einbrechende Kälte, zuviel Hitze, Bakterien oder Viren sind. Beim Luftbaden werden einzelne Körperbereiche oder der ganze Körper den aktuellen Wetterbedingungen ausgesetzt. Und ja, in jungen Jahren habe ich ohne es zu wissen gekneippt, indem ich mit Freunden nach dem Saunieren nackt in Schneehaufen eingetaucht bin. Okay, Luftbaden für Fortgeschrittene, aber das Prinzip passt grundsätzlich. Die Kneipp-Medizin basiert auf 5 Grundsäulen:
- Wasser
- Bewegung
- Ernährung
- Heilpflanzen
- Balance
Lies hier etwas genauer nach wie das funktioniert (unbezahlte Werbung). Ich habe es eingangs erwähnt, dass das Waldbaden in unterschiedlichen Ausprägungen möglich ist. Du musst jetzt nicht ein Handtuch mit in den Wald nehmen und dich auf einer einsamen Waldlichtung hinlegen. Ist aber erlaubt – jedenfalls, wenn du dabei den Naturschutz berücksichtigst. Die Natur ist der Hauptdarsteller, ganz einfach.
Der Begriff umfasst einen Spaziergang im Wald und etwas eingeschränkt auch das Joggen oder Fahrradfahren. Eingeschränkt deshalb, weil deine Sinne für viele verschiedene Einflüsse innerhalb der Waldatmosphäre verschlossen bleiben. Das Hauptaugenmerk liegt auf sportlicher Betätigung, was zweifelsohne positiv einzustufen ist. Also gehen wir die Aspekte der Definition in Bezug auf das Waldbaden einmal einzeln durch:
Die Macht der Farben
Ein Blick zurück zeigt, dass sich bereits Johann Wolfgang von Goethe mit den Charakteristika der Farben beschäftigt hat. Sein Werk über die Farbenlehre ist 1810 erschienen. Auch wenn er Kritik einstecken musste – speziell in Bezug auf die noch wesentlich älteren Betrachtungen Newtons – Goethes Sichtweise umfasst eine ganzheitliche Naturbetrachtung. Heute weiß man, dass er in vielen Punkten kräftig daneben gehauen hat. Die Farben Grün und Braun mit zahlreichen Schattierungen dominieren jedenfalls beim Waldbaden. Grob gesagt steht Grün für die Natur und Braun für die Erde als solche. Sie bilden die Basis, wobei Wälder mit vielen weiteren Farben und Zwischentönen aufwarten, die es zu scannen gilt.
Duftmarken: das Parfüm der Bäume
Die Natur setzt in jeglicher Hinsicht Duftmarken. Sie locken an oder warnen – je nachdem, welcher Spezies du angehörst. Schlussendlich transportieren Gerüche Botschaften, aber da steckt noch mehr dahinter. Zum Beispiel Terpene (Achtung: ein Trigger in Sachen Cannabis). Genau genommen sind Terpene chemische Verbindungen natürlichen Ursprungs in Pflanzen, die ätherische Öle produzieren. Bei den Bäumen zählen unsere heimischen Nadelhölzer wie Kiefer und Fichte zu den wesentlichen Quellen. Sie dienen als hauseigenes Naturrezept der Schädlingsbekämpfung und weiterer Einflüsse wie zu viel Hitze und Kälte. Beim Waldbaden nehmen wir diese über unsere Lunge und die Haut auf – und stärken unser Immunsystem.
Das große Lauschen: den Naturgeräuschen auf der Spur
Wenn man es so betrachten will, ist das Waldbaden ein dreidimensionales Unterfangen, wobei die Geräusche eine ähnlich wichtige Rolle spielen, wie die zuvor genannten Attribute. Manchmal ist es auch die Geräuschlosigkeit im Wald – wenn Morgentau oder Nebelschwaden zwischen dicht wachsenden Bäumen herummäandern – die den Reiz ausmachen. Vogelgezwitscher, das Rauschen der Blätter in den Baumkronen mit all seinen feinen Nuancen – eine Kulisse, die ungemein beruhigend auf uns wirkt. Das haben Tests in Geräuschlabors ergeben. Der Alltagsstress lässt beim Waldbaden spürbar nach.
Die 5 in der Überschrift versprochenen Tipps: eine kleine Waldbaden-Anleitung
Tipp 1: Bringe Zeit für das Waldbaden mit.
Hierbei schließe ich Walken, Joggen oder Biken insofern aus, da der Schwerpunkt eher bei sportlichen Tätigkeiten liegt, ohne deren Sinn schmälern zu wollen. Ob das jetzt eine, zwei oder drei Stunden sind, liegt an dir. Hilfreich ist das Abstrakt der englischen Studie mit 120 Minuten pro Woche.
Tipp 2: Wenn du dich auf bisher unbekanntes Terrain begibst.
Plane die Strecke so gründlich wie möglich. Für deine Recherchen bieten sich Google maps, Reiseblogs und Infoseiten verschiedener Tourismusbehörden an. Suche einen Punkt auf während deines Spaziergangs oder während der Wanderung, der sich am ehesten zum Waldbaden eignet. Plane zumindest 30 Minuten für den Stopp ein.
Tipp 3: Nichts Neues, aber ich will es dennoch erwähnen:
Passe deine Kleidung den Witterungsverhältnissen und dem Gelände an, durch das du dich bewegst. Bei mehrstündigen Happenings sind eine angemessene Verpflegung und ausreichend Getränke wichtig. Ja, das ist ein Mehr an Ballast, aber so what. Wenn die Seele und das Immunsystem durch den Wald gefüttert werden, musst du dich solange um „weltliche Dinge“ kümmern.
Tipp 4: Auch wenn ich es häufig anders mache:
Verzichte nach Möglichkeit auf technisches Equipment oder reduziere es auf ein Minimum. Wobei du die Kamera immer noch weglegen kannst, wenn Du dich am passenden Platz zum Waldbaden niederlässt und deinen Sinnen den benötigten Auslauf gibst. Eines jedoch habe ich noch nie gemacht: mit aufgesetzten Kopfhörern durch die Natur zu laufen. Das liegt aber auch daran, dass ich mich von der Außenwelt abgeschnitten fühle mit den Dingern auf dem Kopf.
Tipp 5: Lass dich mit all deiner inneren Power auf das Abenteuer Wald ein.
Farben, Düfte und Geräusche fügen sich beim Waldbaden zu einem komplexen Gesamtbild zusammen, das tief in dein Unterbewusstsein eindringt – wenn du die Tür aufmachst. Nach einem Tag im Wald erhöht sich die Anzahl der Killerzellen, die dein Immunsystem gegen alles Mögliche verteidigen um 40 Prozent. Und sie gehen ihrem Job bis zu 7 Tage weiter nach.
Ab in die Natur: Täglich aber keineswegs alltäglich
In diesem Abschnitt möchte ich dir meine persönlichen Erfahrungen in Bezug auf das Waldbaden mit auf den Weg geben. Also eine äußerst subjektive Betrachtungsweise.
Anmerkung 1: Ich lebe in einem Ort in einer Straße
von der aus ich den Gerlinger Wald vom Balkon aus sehe. Das ist beruhigend, weil gut zu wissen, dass die Welt der Bäume in ca. 5 Minuten erreichbar ist. Denn im Grunde reicht schon ein Spaziergang, um sich und seinem Immunsystem etwas gutes zu tun, selbst wenn die Pfade ausgetreten und längst bekannt sind. Alltägliches Waldbaden in Verbindung mit Bewegung. Ein Ziel ist beispielsweise das Schloss Solitude, wobei die Strecke entlang des Bergheimer Wegs im letzten Stück ziemlich steil ist. Sportliche Herausforderung angenommen.
Anmerkung 2: Manchmal reicht eine Autofahrt von ca. 25 Minuten
, um in eine völlig andere Welt einzutauchen. Exakt aus diesem Grund habe ich das Beitragsbild gewählt, das in der sogenannten Wolfsschlucht bei Althengstett nahe Calw entstanden ist. Ein fantastischer Tag – angenehme Temperaturen und eine Wolkendecke, die den blauen Himmel durscheinen lassen hat. In der Wolfsschlucht begegnet mir innerhalb von zwei Stunden ein Pärchen, das war es. Und ich setzte mich exakt auf die auf dem Bild zu sehende Holzbrücke. Sie hat sich in ihrer Konsistenz ein wenig den Wetterbedingungen untergeordnet, wirkt brüchig, aber egal. Ich rutsche näher an den Rand und schalte ab, konzentriere mich auf das Bad im Wald.
Anmerkung 3: Technisches Equipment lenkt mich ab.
In der einen Hand trage ich meine Lumix, in der anderen die Osmo Plus zum Aufnehmen einzelner Sequenzen für einen Videoclip. Im Rucksack steckt ein Stativ für Aufnahmen mit einer längeren Belichtungszeit in der schattendurchtränkten Schlucht. Was passiert da unterwegs genau? Meine Konzentration ist auf Motive fixiert. Das ist okay, aber in Sachen Waldbaden eher kontraproduktiv. Ich beschränke die Wahrnehmungsfähigkeit vor allem auf meine Augen – das ist zu wenig. Im Gegenzug wäre es dagegen mit einem deutlichen Mehraufwand verbunden, dir zu erklären, was es unterwegs an kleinen oder großen Schönheiten zu entdecken gibt.
Waldbaden in Stuttgart und Umgebung: ein paar Empfehlungen
Mein Heimatort Gerlingen liegt ca. 10 km westlich von Stuttgart. Und hier gibt es trotz der Industrie noch viel Grün. Bis zur Stadtmitte unserer Landeshauptstadt ließe sich ein Großteil der Strecke in Waldgebieten bewältigen. Nachfolgend habe ich dir ein paar Tipps zusammengestelt, wo du rund um Stuttgart waldbaden kannst. Und nein, die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wenn du selbst Tipps hast, gerne in den Kommentaren hinterlassen. Bin gespannt.